Jüdische Filmgeschichte

Eine Reise durch die jüdische Filmgeschichte

Jüdische Filmgeschichte öffnet den Blick auf die Schnittstellen von Filmgeschichte und jüdischer Geschichte und Erfahrung. Eine Reise durch die Jüdische Filmgeschichte verbindet bekannte und weniger bekannte Orte und Ereignisse mit Funden zum Schaffen jüdischer Filmemacher:innen; sie führt zu Institutionen, die Filme über jüdische Lebenswelten und Themen sammeln, zu jüdischen Filmfestivals, Ausstellungen und Retrospektiven. Die Reise bietet Einblicke in Räume, in denen Filme gesehen und diskutiert und darüber zu ‚jüdischen Filmen‘ gemacht werden; sie weist auf Proteste und Debatten zu Filmaufführungen im Kino und Fernsehen, in denen sich jüdische Perspektiven äußern oder über sie hinweg gesprochen wird. Die Stationen, die sich auf der Reise durch die Jüdische Filmgeschichte aufsuchen lassen, sind unterschiedlich eng getaktet. Es wird sich zeigen, an welchen Punkten sich die Geschichte des Films markant mit jüdischer Erfahrung überkreuzt.

1899-09-14 03:33:50

Die Dreyfus Affäre im Film

Der als Dreyfus-Affäre bekannte Justizskandal um den französischen Offizier Alfred Dreyfus ist nicht nur eines der für Jüdinnen und Juden bedeutendsten historischen Ereignisse, das eine breite kulturelle und künstlerische Adaption erfahren hat, sondern fällt auch zeitlich mit der Entstehung des Films zusammen: Der 1899 gedrehte Stummfilm L’ AFFAIRE DREYFUS von Gèorges Melies ist eine besonders frühe filmische Auseinandersetzung mit dem Skandal und wird als erster politischer Film überhaupt bezeichnet. Die Filme zur Dreyfus Affäre nehmen sehr unterschiedliche Schwerpunktsetzungen vor und werden durch Kritiker:innen und Wissenschaft unterschiedlich gedeutet: Melies’ Stummfilm stelle ein frühes politisches Plädoyer für Dreyfus dar, der 1930 gedrehte DREIYFUS von Richard Oswald trage antifranzösische Untertöne und werbe für allgemeine Menschenrechte im Angesicht der erstarkenden Nationalsozialisten, ebenso sei der 1937 in den USA produzierte THE LIFE OF EMILE ZOLA eine indirekte Kritik am Nazi-Regime in Deutschland. Karl Fruchtmanns Fernsehfilm TROTZDEM von 1989 könne als Reflektion auf das postnationalsozialistische Deutschland verstanden werden und Roman Polanskis INTRIGE von 2019 stelle einen nachdrücklichen Kommentar gegen Antisemitismus in der Gegenwart dar - um nur einige filmische Bearbeitungen des Stoffes zu nennen.

1903-08-19 17:38:30

A gesture fight in Hester Street

Der kurze, 1903 erschienene Film A GESTURE FIGHT IN HESTER STREET zeigt zwei Juden an der Lower East Side in einem komischen Kampf und kann wahrscheinlich als die älteste, erhaltene filmische Darstellung von Juden gelten. Die Hester Street, zentrale Straße des jüdischen New Yorks, wurde auch in anderen Filmen Bezugspunkt für jüdische Settings der Stadt. 1975 war die Straße titelgebend für Joan Micklin Silvers gleichnamiges Spielfilmdebut, das von jüdischen Einwander:innen in New York Ende des 19. Jahrhunderts erzählt. HESTER STREET gilt bis heute als Klassiker des amerikanisch-jüdischen Kinos und wurde 2021 in einer restaurierten Fassung beim New York Filmfestival gezeigt, nachdem Joan Micklin Silver im Vorjahr verstarb.

1911-08-03 00:00:00

The First Film of Palestine von Murray Rosenberg

Der mit 20 Minuten erste längere Film über Palästina, das ‘Heilige Land’, wird zunächst auf dem 10. Zionistenkongress in Basel gezeigt und läuft dann weltweit auf den Leinwänden, vor allem für ein jüdisches Publikum. Murray Rosenberg, ein britischer Jude und Aktivist in der zionistischen Bewegung seines Landes, produzierte einen Travelogue zu den biblischen Städten und nach Jerusalem, er filmte muslimische Festlichkeiten und arabische Straßenszenen. Sein Schwerpunkt lag jedoch im Porträt zionistischer Siedlungen und Institutionen, wie die 1906 gegründete Bezalel-Kunstgewerbeschule von Boris Schatz. THE FIRST FILM OF PALESTINE diente als eine Art Blaupause für den frühen Zionistischen Film der 1920er und 1930er Jahre.

1916-06-09 00:00:00

Lubitsch-Komödien

Ernst Lubitsch, 1892 in Berlin geboren, gilt als einer der wichtigsten jüdischen Filmschaffenden der Weimarer Republik. Seine als ‚Milieukomödien‘ bekannten satirischen Auseinandersetzungen mit der urbanen Mittelschicht sind immer wieder aufgrund ihrer offenen Darstellung von Jewishness Gegenstand der Jewish Film Studies worden. In seinen Komödien wie SCHUHPALAST PINKUS (1916) oder MEYER AUS BERLIN (1918) porträtiert Lubitsch dabei häufig ‚jüdische Typen‘, die durch geschickte, humoristische Tricks ihre Ziele verwirklichen. Lubitsch‘ offener Umgang mit Stereotypen ‚des Jüdischen‘ wird in der Wissenschaft unterschiedlich interpretiert: Einerseits seien die Darstellungen selbstbewusster Ausdruck von Jewishness in der Weimarer Republik (Ofer Ashkenazi), andererseits böten sie aber auch Anknüpfungspotential an antisemitische Vorstellungen. Diese Diskussionen zeugen nicht nur davon, wie kontrovers ‚das Jüdische‘ im und um den Film verhandelt wird, sondern auch davon wie diese Aushandlungen – besonders nach der Shoah – von Ängsten um Antisemitismus begleitet sind.

1923-09-03 03:59:54

“The Lubitsch Touch”: Ernst Lubitsch geht nach Hollywood

Auf dem Höhepunkt seiner Karriere in Deutschland emigriert 1923 Ernst Lubitsch auf Einladung der kanadischen Schauspielerin und Produzentin Mary Pickford nach Hollywood. Dort dreht er mit Pickford in der Hauptrolle seinen ersten US-amerikanischen Film: ROSITA (1923). Lubitsch gehört zur ersten Welle von deutsch-jüdischen Emigrant:innen der 1920er Jahre, die freiwillig nach Hollywood gingen und nicht wie ihre (jüdischen) Kolleg:innen zehn Jahre später fliehen mussten. Lubitschs beruflicher Ortswechsel ist erfolgreich: Er kann seine Arbeit in den USA fortsetzen und realisiert nicht nur weitere (Gesellschafts-)Komödien, sondern nach der Erfindung des Tonfilms auch Filmoperetten und Musicals. Wiederkehrende Themen seiner Filme sind Schein und Sein der High Society, Dreieckskonstellationen und die Konventionen bürgerlicher Partnerschaftsmodelle. „The Lubitsch Touch” wird ein ebenso bekanntes Markenzeichen wie „Master of Suspense” für Hitchcock. Es meint das Verschweigen, das elegante Verschleiern, die Andeutung, die aber im Grunde alles sagt - letztendlich die Kunst der Aussparung. Lubitsch wurde so zu einem Vorbild wichtiger Filmschaffender, aber auch zum Bezugspunkt für (spätere) jüdische Emigrant:innen, wie Billy Wilder.

1923-10-29 00:00:00

Konflikte zwischen Tradition und Moderne

E.A. Duponts DAS ALTE GESETZ feiert in Berlin seine Uraufführung. Der Film erzählt die Geschichte eines Rabbiner-Sohns, der Schauspieler werden will und deshalb in Konflikt mit seinem Vater gerät. Damit inszeniert der Stummfilm einen zentralen Konflikt der jüdischen Filmgeschichte: den zwischen Tradition und Moderne. Die traditionell jüdische Lebenswelt wird von den Väter-Figuren repräsentiert, die häufig Rabbiner oder Kantoren sind und mitunter noch im osteuropäischen Shtetl leben. Ihre Söhne, die Hauptfiguren, brechen auf Richtung Westen in eine neue Welt. Und was könnte die moderne, nichtjüdische Gesellschaft einprägsamer symbolisieren als die Unterhaltungsbranche? Die Söhne suchen also als Schauspieler oder Sänger ihr Glück in der nichtjüdischen Mehrheitsgesellschaft - ein Weg, den die Väter nicht akzeptieren können, bis es am Ende zu einer mehr oder weniger glaubwürdigen Aussöhnung zwischen den Generationen kommt. Dieses Thema griff 1927 auch der frühe Tonfilm THE JAZZSINGER von Alan Crosland auf sowie spätere Produktionen des jiddischen Kinos.

1924-07-24 00:00:00

Die Stadt ohne Juden

Nach dem durchschlagenden Erfolg von Hugo Bettauers Roman ‘Die Stadt ohne Juden’ wird der Stoff als Film realisiert. Die Handlung spielt das Phantasma durch, welche Konsequenzen eine Ausweisung von Juden und Jüdinnen für eine Gesellschaft hätte. Nach der Auswanderung bricht im Film das wirtschaftliche wie kulturelle Leben der fiktiven ‒ Wien nachempfundenen ‒ Stadt zusammen. Die filmische Umsetzung des Stereotyps, Juden und Jüdinnen würden die Wirtschaft kontrollieren, wurde von mehreren jüdischen Zeitgenossen als antisemitisch kritisiert. Der Autor des Romans wurde 1925 von einem Nazi erschossen.

1927-08-04 00:00:00

Wer oder wie ist „Der Jude im Film“? - eine publizistische Diskussion

Ende der 1920er Jahre thematisieren einige der wichtigsten jüdischen Zeitungen in Deutschland die satirischen Interpretationen jüdischer Figuren in Kabarett, Theater und Film. 1927 veröffentlichen die jüdischen Filmkritiker Hans Wollenberg und Max Kolpenitzky zwei Artikel mit dem gleichen Titel: „Der Jude im Film“. Max Kolpenitzky, Schauspieler und Dichter, schreibt im Israelitischen Familienblatt am 4. August 1927: „Noch heute, im 20. Jahrhundert, ist der Jude verurteilt, die Rolle des Shylock oder des Judas zu spielen.“ Hans Wollenberg, seit 1920 Redakteur der Lichtbild-Bühne, kritisiert in seinem Aufsatz in der C.V. Zeitung vom 16.09.1927, dass jüdische Schauspieler:innen und jüdische Regisseure an antisemitisch gefärbten Produktionen mitwirken und mit entsprechende Rollen Geld verdienen würden. Ähnliche Debatten um Besetzungspolitiken werden im Kontext des ‚Jüdischen Films’ weitergeführt: So wird im Januar 2022 anlässlich des Films GOLDA darüber diskutiert, ob mit Helen Mirren eine nichtjüdische Schauspielerin die Rolle der ersten weiblichen Premierministerin Israels, Golda Meir, spielen könne. Die amerikanische Komikerin Sarah Silverman hatte 2021 diese in Hollywood gängige Praxis der Darstellung von Juden und Jüdinnen in Anlehnung an die rassistische Praktik des „Blackface” unter dem Begriff des ‚Jewface’ problematisiert.

1927-10-26 17:38:30

The Jazz Singer mit Al Jolson

Der erste bedeutende ‘Talkie’ der Kinogeschichte ist ein Film mit dezidiert jüdischem Sujet und autobiographischen Zügen des US-Entertainers und Sängers Al Jolson (1882-1950). Gezeigt wird der Bruch des armen jüdischen Sängers Jakie Rabinowitz mit der jüdischen Tradition. Anstelle der Tätigkeit als Kantor in einer Synagoge, wie vom Vater geplant, wird Rabinowitz ein gefeierter Broadway-Star. Der 1927 von Warner Bros. produzierte THE JAZZ SINGER war trotz längerer Tonfilmpassagen zwar noch weitestgehend ein Stummfilm, er sollte aber aufgrund seines kommerziellen Erfolgs und künstlerischen Qualität den Siegeszug des Tonfilms einläuten. Der Film zeigt nicht nur die im US-amerikanischen Film etablierte Figur des Kantorensohns und dessen Konflikt zwischen Tradition und Moderne, sondern auch die rassistische Tradition des Blackface.

1929-02-01 00:00:00

Togo Mizrahi und die Egyptian Films Company

Der italienisch-jüdische Ägypter Joseph Elie „Togo” Mizrahi (1901-1986) gründet in Alexandria die „Egyptian Films Company”. Zwischen 1930 und 1946 produziert und inszeniert er circa 40 arabisch- und vier griechischsprachige Filme und trägt damit wesentlich zur Entstehung und ersten Blüte des ägyptischen Kinos bei. In seinen Filmen nutzt Mizrahi häufig die Mittel der Maskerade und der Verwechslungen und zeichnet damit ein pluralistisches Bild der ägyptischen Gesellschaft. Ende 1946 wurde Mizrahi vorgeworfen, an der Verbreitung zionistischer Filme mitgewirkt zu haben. Danach realisierte er keine Filme mehr und verließ Ägypten nach der Revolution und dem Sturz des Königs Faruk im Jahr 1952 in Richtung Italien.

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